Verschleppt, verbannt, verschwunden
Deutsche Kriegsjugend in Stalins Lagern und Gefängnissen(zusammen mit Niklas Poppe)
Mitteldeutscher Verlag
Taschenbuch
400 Seiten
ISBN 9783963119156
Erscheinungsdatum: 17.09.2024
Mitteldeutscher Verlag
Taschenbuch
400 Seiten
ISBN 9783963119156
Erscheinungsdatum: 17.09.2024
Bereits 1945 erfolgten die ersten Verhaftungen von Schülern in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) durch den sowjetischen Geheimdienst.
Grit und Niklas Poppe berichten von den Schicksalen Jugendlicher und junger Erwachsener, die nach der NS-Zeit in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR in die Fänge des sowjetischen Geheimdienstes gerieten, verhaftet, verschleppt oder ermordet wurden. Es sind Leidensgeschichten und Hafterlebnisse Betroffener, die unschuldig und oft Jahre in einem der Speziallager der Sowjets und im Gulag verbringen mussten. Nicht wenige kamen um. Das Erlebte der zu Unrecht Inhaftierten wird so wiedergegeben, dass deutlich wird, wie schwer und nachhaltig Menschwürde und Menschenrechte verletzt wurden. Den Menschen, die in ihren jungen Jahren unter der Verfolgung durch die sowjetische Besatzungsmacht litten, ist dieser Band gewidmet.
Die Augen wurden verbunden und Handschellen angelegt. Wieder fuhren sie stundenlang. Nur diesmal umgab sie eine komplette Finsternis.
Als Bodo wieder etwas sehen konnte, befand er sich in einem finsteren Gefängnis. Die Zelle, in die er gebracht wurde, war winzig. Neben der Holzpritsche, die fast den ganzen Raum ausfüllte, gab es kaum einen halben Meter Platz. Es roch unangenehm – wohl nach dem Eimer für die Notdurft, der in der Ecke stand – ein alter verbeulter Malereimer. Eine Glühbirne über der Tür strahlte auf ihn hinab. Als er sich setzte, starrte ihn der Spion in der Tür an. Saß ein Auge dahinter?
Angst und Schrecken verfolgten ihn Tag und Nacht. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnte: Er befand sich in Potsdam, in der Leistikowstraße 1, in der Zentrale der Spionageabwehr des sowjetischen Geheimdienstes.
(…)
Nicht nur das Ungeziefer hielt ihn vom Schlafen ab. Auch die Glühbirne über der Tür brannte Tag und Nacht. Die Geräusche in diesem grauenhaften Gebäude ängstigten ihn: Wachposten schrien, Schlüssel klirrten, Türen krachten. Was passierte da gerade?
Wann holten sie ihn wieder?
Tagsüber durfte er nicht schlafen. Wenn er auf der Pritsche saß und einnickte, trat der Posten gegen die Tür. Nachts fanden oft Verhöre statt. Vier Wochen verbrachte er in der Einzelhaft. Mit das Schlimmste war, so allein zu sein. Völlig auf sich allein gestellt. Um nicht ganz den Überblick zu verlieren, kratzte er die Tage mit dem Fingernagel in den Türrahmen.
Einmal, als er weinend in der Zelle hockte, ging die Klappe auf, ein blasser junger Mann in Uniform schaute zu ihm herein und reichte ihm mit ruppiger Bewegung eine Papirossa. „Nu, kuri!“, sagte er schroff. „Hier, rauch!“ Bodo begriff, dass das ein Trost sein sollte.
Ein anderes Mal hörte er wieder, wie die Schlösser rasselten. Plötzlich kam ein Uniformierter in die Zelle. Was passierte jetzt?
Der Eindringling hielt etwas in der Hand. Bodo schaute genauer hin. Nur eine Haarschneidemaschine. Nichts Besonderes also.
Ja, wird eigentlich Zeit, mal was von der Wolle wegzunehmen, dachte der Junge.
Mit ein paar gestammelten Worten Russisch versuchte er dem Mann zu sagen, wie er schneiden sollte – als säße er bei einem normalen Friseur. Als er sich noch fragte, ob er verstanden wurde, fielen schon die ersten Büschel. Zack, Zack, Zack. Ruckzuck war das ganze Haar weg. Plötzlich hatte er eine Glatze!
Für Bodo war das ein Schock. Er fühlte sich endgültig degradiert zum Sträfling. Mit seinem Haar hatte er ein Stück Identität verloren, so empfand er es.
Als er wieder allein war, guckte er in den mit Wasser und Urin gefüllten Kübel, um sich zu erkennen. Was er sah, war nicht mehr er selbst.
Ein verlorenes Etwas mit Glatzkopf.
Zum einen möchten wir das Leid und auch den Widerstand gegen ein menschenverachtendes System würdigen und anerkennen, zum anderen die Schicksale dieser damals Jugendlichen und jungen Erwachsenen sichtbarer und begreiflicher machen.
Grit und Niklas Poppe, im Juni 2024 (aus dem Nachwort)
Die Autoren rücken nah an die jungen Menschen heran. Diese berichten nicht nur von der unmenschlichen Haft.
Isabel Fannrich-Lautenschläger, Deutschlandfunk Andruck, 12. August 2024
„In diesem dokumentarischen Band werden die Schicksale sehr lebendig, gehen tief unter die Haut.“
Heidi Jäger, Kultursegler
„Dieses Buch ist keine leichte Kost, aber es ist essenziell für jeden, der sich mit der Geschichte der Nachkriegszeit und den Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion auseinandersetzen möchte.“
Mediennerd
„In ihrem neuen Buch … erinnern Grit und Niklas Poppe an das Schicksal der vielen Jugendlichen, die in den frühen Nachkriegsjahren unschuldig in die Mühlen des stalinistischen Repressionsapparats in der sowjetischen Besatzungszone gerieten.“
Lesetipp von Alexander Frese, Kurator der Ausstellung „… denen mitzuwirken versagt war“ Ostdeutsche Demokraten in der frühen Nachkriegszeit (Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur)
„Grit und Niklas Poppe schildern … bildhaft und genau, sodass man sich in das Elend der Betroffenen einfühlen kann, die vor ihrer Verschleppung einfach nur Schüler gewesen waren, Lehrlinge, Studenten. Junge Leute, die nach dem Krieg schlicht versuchten, ein normales Leben zu führen und sich eine Zukunft aufzubauen. Manche waren Teenager, gerade erst 15, 16 Jahre alt, als sie aus ihren Elternhäusern abgeholt wurden. (…) Ihre Schicksale werden hier noch einmal lebendig. Und auch jene menschliche Widerstandskraft, die ihnen half, auch die schlimmsten Tage und Jahre zu überstehen.“
Leipziger Zeitung, Ralf Julke
„Man kommt den zu Unrecht inhaftierten Menschen sehr nah.“
Potsdamer Neueste Nachrichten, Tabea Hamperl